Um neuen Mitarbeitenden in unserem Unternehmen anschaulicher zu vermitteln, warum wir uns so vehement für die Umsetzung unserer Trägerphilosophie einsetzen, arrangieren wir traditionell mit allen eine Fahrt nach Torgau in die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof.
Werte, die uns so wichtig sind, wie freie Entfaltung der Individualität, Kontakt zur Familie, Erziehung ohne Strafe, Sicherung der Intimsphäre, Partizipation, Toleranz, Respekt und Wertschätzung, wurden in dieser Einrichtung mit Füßen getreten und ins Gegenteil verkehrt
Umerziehung, Kollektivstrafen, Normierung, Isolation, Gewalt und Missbrauch sollten und haben den Willen der Jugendlichen gebrochen, die in diesem, sogenannten Spezialheim leben mussten.
Von der Inbetriebnahme 1964 bis zum Herbst 1989 waren es mehr als 4000 Jugendliche, die diesem Regime zum Opfer fielen. Sie leiden noch heute unter den traumatischen Erlebnissen und vielen ist es nur mit großer Anstrengung möglich, ein unbeschwertes Leben zu führen.
Mir selbst sind in meiner Arbeit in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen begegnet, welche diese leidvollen Erfahrungen machen mussten. Die Zeit hat sie geprägt und oft fehlte es ihnen an alternativen Ideen, um den Herausforderungen bei der Erziehung der eigenen Kinder gewachsen zu sein.
Darum setzen wir uns jeden Tag konsequent dafür ein, dass so etwas – nicht einmal im Ansatz- wieder passieren kann.
Ich fragte Nicole Moster aus dem ambulanten Team nach ihren Eindrücken nach dem Besuch:
„Unser Team hat durch einen Vortrag und einen Dokumentationsfilm tiefe Einblicke in die verschiedenen Heimsysteme der DDR bekommen. Es war erschreckend zu hören, wie Kinder- und Jugendhilfe damals gestaltet wurde und welche politischen Ziele damit verfolgt wurden. Militärischer Drill, sozialistische Erziehung und Gewalt auf allen Ebenen gehörte zum Alltag der Schützlinge. Individualität und kritische Fragen gegenüber dem System wurden nicht geduldet und extrem bestraft. Die Ausstellung hat durch Zeitzeugenberichte, Akteneinsichten, Bilder und noch bestehende Dunkelarrestzellen die Zeitreise verstärkt. Der Vormittag ließ unser Team fassungslos, traurig, wütend und wortlos zurück. Nach der Mittagspause bekamen wir die Möglichkeit, mit einer Zeitzeugin in den Austausch zu gehen. Eine so starke und mutige Frau hat uns ihre Geschichte erzählt. Sie wuchs im Heimsystem auf und durchlebte alle Bereiche. Ehrfürchtig und voller Respekt hat uns ihre Lebensgeschichte in den Bann genommen. Für diesen Mut sind wir sehr dankbar. An diesem Tag wurde uns wieder bewusst, dass wir im Träger die Aufgabe haben, die Kinder zu schützen und zu fördern. Zu fördern in ihrer Individualität, ihrer Willensstärke, ihrer Bindung zur Herkunftsfamilie und in ihren Rechten. Das, was damals geschehen ist, soll Geschichte bleiben und nie wieder Kindern widerfahren. Der Verein hat mittlerweile eine mobile Ausstellung in einer Box etabliert, welche durch Deutschland wandert. Dieses Jahr kommt die Blackbox Heimerziehung auch noch nach Dresden und versucht so, alle Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren.“
Nach dieser Fahrt gingen die Teilnehmenden in ihren Teams reflektierend in den Austausch. Den meisten war dieses dunkle Kapitel der DDR Geschichte nicht oder nur unzureichend bekannt. Unsere Kinderrechte und natürlich auch die der Eltern, hängen in allen Wohngruppen aus, Sie finden sie auf unserer Homepage und neue Mitarbeitende werden in ihrer Begrüßungsmappe schon damit vertraut gemacht, weil es uns oberstes Gebot ist, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt.
K. Thauss